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Gegen den Strom  

Rechenschieberpolitik pervers

Spiegel Online - 25. August 2004 : Interview mit Ottmar Schreiner, Vorsitzender der Arbeitsgemeinschaft für Arbeitnehmer, Mitglied des Bundesvorstandes der SPD

SPIEGEL ONLINE: Müntefering sagt (...) der Großteil der Menschen werde nach den Reformen besser gestellt sein.

Schreiner: Das ist wirklich Unfug. Lediglich die erwerbsfähigen Sozialhilfeempfänger werden sich besser stellen. Nach meinen Zahlen sind das knapp eine Million Menschen, während sich aber die Situation für über zwei Millionen Arbeitslosenhilfeempfänger verschärfen wird. Mehr als 25 Prozent von ihnen werden dann überhaupt keine Leistungen mehr erhalten. Fast die Hälfte wird schlechter, teilweise deutlich schlechter gestellt. Und bei etwa neun Prozent ändert sich nichts.

SPIEGEL ONLINE: Die Rechnung Münteferings kommt auf ein ganz anderes Ergebnis.

Schreiner: Vielleicht gibt es da einen anderen Großrechner. Es kann auch gar nicht sein, dass mehr Leute besser gestellt werden. Wie sollte denn ansonsten das Einsparvolumen von etwa drei Milliarden Euro bei der Öffentlichen Hand zu erklären sein? Die Absenkung des Spitzensteuersatzes am 1. Januar kommenden Jahres führt hingegen zu Einnahmeverlusten in der gleichen Größenordnung.

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Zu Tode gefoltert

Spiegel Online - 21. Mai 2004 - "Augenzeuge beschreibt Todesfall durch US-Folter im Irak" - SPIEGEL-TV-Reporter Helmar Büchel interviewt den Iraker Abid Hamed Abid

SPIEGEL TV berichtete erstmals über mögliche Todesfälle, die US-Soldaten durch die Folterung irakischer Häftlinger zu verantworten haben. Ein Augenzeuge, den SPIEGEL TV-Reporter Helmar Büchel interviewte, ist der 33-jährige Abid Hamed Abid. Er wurde am 15.12. 2003 von US-Soldaten festgenommen und am 19.1. 2004 aus der US Airbase Al Asad entlassen. Während seiner Gefangenschaft war er Zeuge des Todes von Asad Abdul Kareem Abdul Jaleel. Asad Jaleel war am 4. Januar von einer amerikanischen Patrouille festgenommen worden. Den Grund hat die Familie nie erfahren - vermutlich stand er im Verdacht, den Widerstand gegen die US-Truppen zu unterstützen. Nach Aussage Abids starb Jaleel an den Folgen von Folterungen durch US-Soldaten. Darauf deuten auch Bilder des Leichnams hin, die SPIEGEL TV vorliegen.

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Rumsfeld verteidigt Folter

Spiegel Online - 13. Mai 2004 - "Folterbilder schockieren US-Senatoren" - Runsfeld verteidigt "Verhör"methoden

Das Material dokumentiere "grausame, sadistische Folter", sagte die republikanische Abgeordnete Jane Harman. Männliche und weibliche irakische Häftlinge seien zu sexuellen Handlungen an sich und anderen gezwungen worden, berichteten Abgeordnete. Einige Gefangene hätten geblutet. Auf einem Foto sei ein mit Handschellen an eine Wand gefesselter fast nackter Mann zu sehen, der seinen Kopf immer wieder gegen die Wand schlage. Offenbar habe er damit eine Ohnmacht herbeiführen wollen, die ihn von den Qualen befreien sollte.
Auf den Fotos sollen auch Gefangene zu sehen sein, die zum Analverkehr gezwungen wurden. Andere hätten Bisswunden, offenbar von Hunden, erlitten. Außerdem seien Leichen zu sehen gewesen und immer wieder Beispiele für "sadistische Folter" und "sexuelle Erniedrigung".
Etliche US-Senatoren meinten, die Misshandlungen und sexuellen Demütigungen seien viel zu gezielt erfolgt, um das Werk Einzelner zu sein. Senatorin Susan Collins sagte, für die bekannt gewordenen Praktiken sei viel Wissen darüber notwendig, was für die Gefangenen erniedrigend sei.

Verteidigungsminister Donald Rumsfeld verteidigte unterdessen die Verhörmethoden. Sie seien mit internationalem Recht vereinbar. |Artikel -->|

Nicht nur im Irak

junge Welt - 11.05.2004 - "Mißhandlungen und Folter von Gefangenen sind auch in den USA und in US-Gefängnissen in anderen Ländern gängige Praxis"

Der Mann, der nach der Besetzung des Irak im vorigen Jahr die Wiederinbetriebnahme von Abu Ghraib und die Ausbildung des Wachpersonals leitete, Lane McCotter, war früher Direktor der Gefängnisse des Bundesstaates Utah. Er verlor diesen Posten 1997, nachdem ein Gefangener, der an Schizophrenie litt, nach 16stündigen Quälereien durch das Personal nackt in seiner Zelle starb. McCotter wurde anschließend Manager eines privaten Gefängnisunternehmens, gegen das wegen mangelnder medizinischer Versorgung von Häftlingen in den USA Untersuchungen laufen. |Artikel -->|

Sprachlos

Spiegel Online - 14. April 2004 - "Der Unfehlbare im East Room" - Pressekonferenz mit Georg W. Bush

John Dickerson (Time Magazin):"Was war nach dem 11. September wohl Ihr größter Fehler? Und welche Lehren haben Sie daraus gezogen?"
Bush: "Ich wünschte, Sie hätten mir diese Frage vorher schriftlich gegeben." Er grübelt, schüttelt den Kopf, presst die Lippen zusammen, blickt zu Boden, stammelt: "Äh, ich bin sicher, mir wird noch was einfallen, ist mir aber noch nicht." Schwafelt dann über all das, was er auch auch das nächste Mal wieder genau so machen würde, und gibt sich schließlich geschlagen: "Ich bin sicher, dass ich Fehler gemacht habe. Aber Sie haben mich in Verlegenheit gebracht." |Artikel -->|

Erklärungsnöte

junge Welt - 10.04.2004 - Gern verschwiegen: Die Wettbewerbsvorteile der deutschen Wirtschaft auf dem Weltmarkt

Wolfgang Pomrehn

Manchmal können gute Nachrichten richtig ungelegen kommen, so wie Anfang der Woche die neuesten Zahlen der Welthandelsorganisation WTO und ihrer ungeliebten, weil demokratischeren Schwester, der UN-Konferenz für Handel und Entwicklung UNCTAD. Gerade hatten die Spitzen der deutschen Wirtschaft eine herzzerreißende Jammerkampagne gestartet, da vermasseln die Statistiken der beiden Organisationen ihnen die Show. Scharenweise würden deutsche Unternehmen ins nahe gelegene Billiglohnausland abwandern, hatte der Präsident der Deutschen Industrie- und Handelskammer (DIHK), Ludwig Georg Braun, gedroht, wenn nicht endlich ordentlich »reformiert« wird, sprich, Löhne und Gehälter noch weiter gedrückt werden. Auch der ganze Umweltschutz, sekundierte BDI-Chef Michael Rogowski, störe ganz ungemein bei der Entfaltung der freien Unternehmerpersönlichkeit.

Doch siehe da: Der deutschen Wirtschaft und dem angeblich so schwindsüchtigen »Standort Deutschland« geht es prächtig. Der Patient stellt sich als Hypochonder heraus, der gar nicht weiß, wo er mit all seiner Kraft und Vitalität, also seinem überschüssigen Kapital, hin soll. Daß Deutschland sich 2003 erstmals seit Anfang der 1990er wieder den Titel des Exportweltmeisters ergattern würde, zeichnete sich bereits im letzten Herbst ab. Mit der neuen WTO-Statistik haben wir es schwarz auf weiß: Waren im Wert von 748,8 Milliarden US-Dollar (624 Milliarden Euro nach aktuellem Kurs) wurden 2003 ausgeführt. Die Exporte des auf Platz zwei verwiesenen Hauptkonkurrenten USA stiegen hingegen bloß um vier Prozent auf 724 Milliarden US-Dollar.

Besonders beachtenswert ist dabei das Umfeld, das von den neuesten WTO-Statistiken erhellt wird. Die deutschen Exporteure haben nämlich nicht nur mit dem stark expandierenden Weltmarkt mithalten, sondern sogar noch Marktanteile (zurück)erobern können. Um 4,5 Prozent wuchs im letzten Jahr der Welthandel, die deutschen Exporte aber sogar um 22 Prozent. Das bescherte den Berufspessimisten beim BDI einen Weltmarktanteil von sagenhaften zehn Prozent.

In Erklärungsnot gebracht, versuchen derweil die Propheten des Sozialkahlschlags den Erfolg kleinzureden. Hans-Werner Sinn, Chef des Ifo-Instituts, verweist zum Beispiel darauf, daß der starke Anstieg auf Dollar-Basis ja nur der Aufwertung des Euros geschuldet sei. Doch das Argument hält einer näheren Betrachtung nicht stand. Rechnet man die Inflation raus und gibt den Wert der Exporte in der jeweiligen Landeswährung an, dann stiegen die deutschen Ausfuhren immer noch um 4,9 Prozent, die der USA aber nur um 1,4 Prozent. Der Vergleich zeigt übrigens auch, daß die hiesige Exportwirtschaft nicht nur die US-Konkurrenz, sondern auch die aller anderen großen Industriestaaten mit Ausnahme Japans hinter sich gelassen hat. Nippons Exporteure waren die einzigen, die mithalten konnten und ihre Ausfuhren um 4,8 Prozent steigerten.

Hat man das Gejammere von Rogowski, Braun und anderen im Ohr, dann sollte man meinen, die deutsche Erfolgsstory sei vom Himmel gefallen. Dabei ist die Erklärung ganz simpel. Das Rezept: bescheidene Gewerkschaften in Verbindung mit hervorragender, staatlich finanzierter Infrastruktur und hoher Produktivität. Nicht erst seit letztem oder vorletztem Jahr halten sich hiesige Gewerkschaften im Vergleich zu ihren Kollegen in anderen großen Industriestaaten stark zurück, sondern schon seit Jahrzehnten. Ein Blick in das Zahlenwerk der OECD (Organisation for Economic Cooperation and Development, Organisation für Wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung) ergibt Verblüffendes: Mit lediglich zwei oder drei Ausnahmen fällt seit Mitte der 1970er hierzulande die Erhöhung der Löhne und Gehälter in der Privatwirtschaft Jahr für Jahr niedriger aus als im EU-Durchschnitt. Auch im Vergleich zu den USA fast das gleiche Bild. Lediglich Anfang der 1990er stiegen für ein paar Jahre zwischen Rhein und Oder die Einkommen etwas schneller als jenseits des Atlantiks.

Kein Wunder, daß sich angesichts dieser paradiesischen Zustände fürs Kapital auch ausländische Unternehmen im Lande der Exportweltmeister zunehmend wohler fühlen. Im Jahre 2002, berichtet die UNCTAD, haben die ausländischen Direktinvestitionen in Deutschland um 50 Prozent auf 35,635 Milliarden Euro zugenommen. Damit stand Deutschland im internationalen Vergleich immerhin an vierter Stelle der Empfängerländer. Herkunftsländer waren übrigens entgegen landläufiger Meinungen nicht in erster Linie die USA, deren Unternehmen hierzulande nur eine untergeordnete Rolle spielen, sondern vor allem die anderen EU-Staaten, allen voran die Beneluxländer.

Auch das deutsche Kapital – von dem es aufgrund des exorbitanten Handelsbilanzüberschusses von zuletzt 122,25 Milliarden Euro reichlich gibt – drängt in die Ferne. Doch anders als man vermuten könnte, geht nur ein kleiner Bruchteil davon in osteuropäische oder asiatische Billiglohnländer. Das Gros des deutschen Kapitalexports fließt nach Westeuropa oder in die USA. Kein Wunder, daß die ganze Diskussion über Abwanderung versus Patriotismus sofort wieder verstummt ist. Angesichts des herausragenden Wettbewerbsvorteils der deutschen Wirtschaft haben die Sozialräuber von BDI und DIHK erhebliche Erklärungsnöte. Aber offensichtlich – und das sollten sich alle Immer-noch-Sozialpartner und andere Keynesianer besonders vor Augen halten – ziehen sie aus ihrer Stellung im Weltmarkt auch die Kraft, mit der sie hierzulande auf die Lohnabhängigen einschlagen.

Zonenzone des Tages

junge Welt - 10.04.2004 - "Sonderwirtschaftszone Ost"

Jeder legt noch schnell ein Ei in den Osten. Im heute erscheinenden Spiegel stimmt Unionsfraktionsvize Friedrich Merz dem Vorschlag von Regierungsberater Klaus von Dohnanyi für eine Sonderwirtschaftszone in Ostdeutschland zu. Der sagt allerdings, davon sei in der Kommission nie die Rede gewesen, und wird wiederum von Manfred Stolpes Staatssekretären als »selbstverliebter älterer Mensch« (Tilo Braune) tituliert, der das Geschäft von Leuten betreibe, »die schon lange finden, daß es allmählich genug ist mit der Ostförderung« (Iris Gleicke). Statt eine echte Sonderzone mit Intershops, volkseigenen Betrieben, Devisen- und Gesichtskontrolle vorzuschlagen, fielen auch Merz wie allen übrigen wieder einmal nur Lohnkürzung und Rechtsauflösung ein. Als Sauerländer genießt er zwar einen speziellen Nazideppenbonus wie der weiland Bundespräsident Heinrich Lübke, der KZs baute und die Zwergschule, die er früh absolviert hatte, so vorbildlich fand wie Friedrich Merz neulich seine braunen Vorfahren, aber zum Lesen reichte es bislang noch. Daher noch einmal: Seit dem 3. Oktober 1990 hat die Bundesrepublik eine Zone. Zone ist das Gebiet deswegen, weil dort Sonderrechte gelten. Das beginnt beim Grundgesetz, das dort nur eingeschränkt gilt, z. B. bei der freien Berufswahl oder dem Rückwirkungsverbot bei der Anwendung von Strafgesetzen. Es betrifft das Prinzip »Rückgabe vor Entschädigung« und geht bis zum Wunschrechtsstaat, den sich Merz ausgedacht hat Das Resümee aus 14 Jahren Ostzone zog ein Ex-DDR-Banker aus dem Dohnanyi-Expertenteam: »verdummt, verarmt und vergreist«. Die Angleichung ist in Sicht.

Kapitalismus ohne Maske

junge Welt - 21. Februar 2004 - "Brechttheater – eine Antwort auf unsere Zeit?", Vortrag von Manfred Wekwerth auf der XIII. Internationalen Buchmesse in Havanna

Denn der Sieg des Kapitalismus ist zugleich sein größter Verlust: Er hat sein Feindbild verloren, das ihm kein Bin Laden und kein Schurkenstaat ersetzen kann. (...) Denn das Feindbild vom Gespenst des Kommunismus hielt die verfeindeten Brüder des Kapitals einigermaßen zusammen und bremste den Abbau des Menschlichen und Sozialen, was nun ungehindert betrieben wird. Ohne Gegenkraft – und mindestens als Gegenkraft war der Sozialismus real – wird der Kapitalismus hemmungslos und uferlos und findet zu seiner (von Marx analysierten) Normalität zurück. |Artikel -->|

Vernebelt

junge Welt - 13./14. Dezember 2003 - Gespräch mit Siegfried Wenzel (Wirtschaftswissenschaftler) - "Staatsverschuldung ist eine Nebelwand"

"Vom neoliberalen Standpunkt aus ist jede Steuer ein Enteignungsakt, wie die Wortführer dieser Wirtschaftspolitik nicht müde werden zu behaupten. Es werden von bestimmten Kreisen – übrigens quer durch alle Parteien – die Steuerzahlungen der Bürger oftmals als etwas Schädliches verteufelt, das Wachstum und Senkung der Arbeitslosigkeit hindert. Aber kein Gemeinwesen, keine Volkswirtschaft kann sich ohne öffentliche Leistungen zur Sicherung zivilisatorischer und sozialer Standards, die von allen Bürgern über Steuern finanziert werden, entwickeln und kann ohne sie existieren. Kinderbetreuung, Bildung, Wissenschaft und Kultur, soziale Ausgeglichenheit, Infrastruktur wie Straßen, Autobahnen und Verkehrswege sind Voraussetzungen für eine gedeihliche Entwicklung des gesellschaftlichen Organismus. Nur durch das Funktionieren des Gemeinwesens als Ganzem war es möglich, einen solchen Reichtum anzuhäufen, wie ihn die Bilanz der Bundesrepublik ausweist. Die neoliberale, prinzipiell steuerfeindliche Ideologie wird auch durch das Beispiel solcher Länder wie Schweden, Norwegen, Dänemark ad absurdum geführt, die hinsichtlich Wachstum und Bekämpfung der Arbeitslosigkeit weit vor der BRD liegen und gleichzeitig eine höhere Steuerlast aufweisen.

Das rührt allerdings an die prinzipielle Frage der Verteilungsgerechtigkeit. Aber die ist schon lange überfällig. Wieso kann sich allein das private Geldvermögen in zehn Jahren, nämlich von 1990 bis 2000, fast verdoppeln, während die öffentliche Hand – zumindest was Bildung, Wissenschaft und Soziales betrifft – im wahrsten Sinne des Wortes immer mehr verarmt und hinter den Stand anderer europäischer Länder immer mehr zurückfällt? Das ist der eigentliche Grund dafür, daß die Bundesrepublik das Schlußlicht der entwickelten Länder ist."|Artikel -->|

Ende der Kultur

junge Welt - 29. Oktober 2003 - Werner Rügemer "Kulturpolitik zwischen Wüste und Event"

"Nicht der lebendige Geist wird gefördert, sondern eine hohl gewordene Hochkultur, die keine notwendigen Fragen stellt und außer modernistischem Klamauk wenig zu bieten hat." |Artikel -->|

Zivilcourage in Uniform

Frankfurter Rundschau - 25. September 2003 - 27 Piloten der israelischen Luftwaffe verweigern gezielte Raketenangriffe auf Palästinenser / Friedensbewegung applaudiert

Die Luftwaffe des israelischen Militärs ist der Stolz der Nation. Umso mehr schlug die Nachricht von einer "Rebellion" unter den Kampfpiloten wie die sprichwörtliche Bombe ein. 27 gestandene Flieger teilten in einem gemeinsamen Brief mit, jegliche Teilnahme an Angriffen auf palästinensische Zivilgebiete fortan zu verweigern.

Einer der Unterzeichner, ein Hubschrauber-Pilot, erklärte in der Zeitung Yediot Achronoth: "Wie professionell du auch sein magst, bei diesen Einsätzen ist das Verletzen unschuldiger Zivilisten nicht zu vermeiden, und falls doch, nur mit reinem Glück." Gemeint ist damit, was Israels Regierung als "Präventivschläge" zur Ausschaltung von Militanten bezeichnet. Eine Politik, vor drei Jahren von dem früheren Premier Ehud Barak eingeführt, aber von Ariel Scharon intensiviert: vor allem in jüngster Zeit, nach dem für 22 Passagiere tödlichen Busattentat eines Hamas-Terroristen in Jerusalem vom 19. August. Doch von Beginn an ging die gezielte Tötung radikaler Islamisten oder Kämpfer der Al-Aksa-Brigaden mit "Kollateralschäden" einher. Oft genug trafen die aus der Luft abgefeuerten Raketen Passanten. Die Zahl unschuldiger Opfer beziffert der palästinensische Bürgerrechtler Bassem Eid auf 61 - bei 145 "erfolgreichen" Liquidierungen. Besagter Hubschrauber-Pilot jedenfalls lehnt solche Einsätze nun ab - "bevor der Tag kommt, an dem ich von einer Mission im Bewusstsein zurückkehre, eine Mutter und ihr Kind umgebracht zu haben". Prompt folgte am Donnerstag ein Sturm der Entrüstung auf solche Art der Zivilcourage in Uniform. "Mit Moral" habe das nichts zu tun, erregte sich Verteidigungsminister Schaul Mofas. Die Weigerungserklärung sei ideologisch motiviert, verfasst von notorisch Linken. Selbst der ehemalige Staatspräsident Eser Weizman, in seinen jüngeren Jahren Luftwaffen-Kommandant, meldete sich erbost zu Wort. Die 27 revoltierenden Piloten hätten wohl vergessen, dass sie nicht von einer "Versicherungsfirma" rekrutiert worden seien, sondern vom Militär, das Israelis gegen den täglichen Terror zu schützen habe. Als Vaterlandsverräter allerdings lassen sich die Briefverfasser nicht hinstellen. "Für jede Verteidigungsmission Israels stehen wir weiter bereit", heißt es in ihrem Schreiben, nicht aber als Stütze der Besatzungsmacht in Westbank und Gaza, die die "moralischen Grundfesten des Staates beschädigt". Rückendeckung erhielten sie im Friedenslager. "Ich salutiere vor diesen Piloten", meinte ihr altes Idol Schulamit Aloni, "sie haben die Ehre der Streitkräfte gerettet." Es war Luftwaffen-General Dan Halutz, der mit seinem zynischen Kommentar die Initiative auslöste. Seine Piloten schliefen ruhigen Gewissens, sagte er im Juli 2002, als ein Kampfjet mit einer tonnenschweren Bombe auf ein Wohnhaus in Gaza-City nicht nur das Zielobjekt tötete - den Hamas-Führer Salah Schehade -, sondern auch 15 palästinensische Zivilisten, darunter neun Kinder. "Als ich Halutz reden hörte", bekannte jetzt der Verweigerer Alon, "ist in mir etwas zerbrochen." Wegen Befehlsverweigerung hat Halutz ihn am Donnerstag wie die acht anderen aktiven Piloten - einige Unterzeichner gehören der Reserve an - zum Bodendienst verdonnert. Vom Tisch ist damit die Debatte nicht. Schon weil zu den Dissidenten ein legendäres Fliegerass gehört: General Yiftah Spector, der nicht nur im Sechs-Tage-Krieg sowie im Yom-Kippur-Krieg waghalsige Einsätze flog, sondern auch 1983 am Bombardement des irakischen Nuklearreaktors teilnahm.

Sozialpolitische Logik

ddp/ junge Welt - 14. August 2003 - Geißler geißelt Sozialabbau

Ex-CDU-Generalsekretär Heiner Geißler wirft der SPD den »größten Sozialabbau, den die Geschichte der Bundesrepublik Deutschland je gesehen hat«, vor. Der in Hannover erscheinenden Neuen Presse vom Dienstag sagte er, die SPD wolle »mit wohlfeilen Begriffen wie Teilhabegerechtigkeit davon ablenken«. Man nehme den Leuten »immer mehr Geld weg und will gleichzeitig immer mehr Menschen von medizinischen Leistungen ausgrenzen«. Der eigenen Partei hielt der ehemalige CDU-Stratege vor, dieser fehle »die Einsicht, aber auch der Mut zu akzeptieren, daß der Kapitalismus genauso falsch ist wie der Sozialismus«.

Kriminelle Logik

junge Welt - 9. August 2003 - USA geben Einsatz von Napalmbomben zu

Die USA bestreiten erst gar nicht, im Irak Napalm-Munition eingesetzt zu haben. Das sei notwendig und legal gewesen, sagte ein Pentagon-Sprecher in aller Seelenruhe. Man habe die MK-77-Brandbomben abgeworfen, um mit einem »schwierigen Feind« umzugehen. Darauf kam es vor allem an: Den Gegner in Massen zu töten und sich selbst den Gefahren des Krieges weitgehend zu entziehen. Das ist der Vorteil von Massenvernichtungswaffen. Darin besteht auch die Doktrin des feigen Krieges: Den Krieg führen zu können, ohne ihn erleiden zu müssen, während der Gegner ihn erleiden muß, ohne ihn führen zu können. Nun aber wird bekannt, daß der Gegner ein schwieriger gewesen sei. Obwohl davor den irakischen Streitkräften jeglicher militärischer Respekt abgesprochen worden war und sie als ein Haufen verlumpter und verlauster Marodeure dargestellt wurden, die außer Davonlaufen nichts gelernt hätten. Zur Rechtfertigung von Kriegsverbrechen aber wird der Gegner stärker gemacht als er war. Der war aber leider nicht stark, weil durch das UN-Regime bis zur Verteidigungsunfähigkeit abgerüstet. Davon, daß Napalmbomben international geächtet sind, will der Pentagon-Mann noch nie etwas gehört haben. Es gebe keine internationalen Konventionen, die den Einsatz dieser Munition verbiete, behauptete er. Es gibt sehr wohl eine Konvention, die den Einsatz von Brandbomben verbietet. Sie wurde nach dem Vietnam-Krieg unter dem Eindruck der verheerenden Wirkungen, die der Napalm-Bombenterror unter der Zivilbevölkerung ausgelöst hatte, verabschiedet und – wie gehabt – von den USA nie unterzeichnet. Wenn nun die Existenz einer solchen Konvention einfach bestritten wird, dann folgt das der zynischen Interpretation, daß es sich bei den MK-77-Bomben tatsächlich nicht mehr um die Napalmbomben alten Typs handelt, sondern um deren Weiterentwicklung, was deren Wirkung sicher noch um einiges verheerender macht. Derweilen die USA den Einsatz geächteter Waffen rechtfertigen, kündigen sie für den Fall der Ergreifung Saddam Husseins an, ihn wegen Kriegsverbrechen an amerikanischen Soldaten anzuklagen. Den Tatbestand des Kriegsverbrechens leiten sie allein von der Tatsache ab, daß der bis dahin souveräne Irak die Truppen, die ihn überfallen haben, nicht ohne Widerstand nach Bagdad marschieren und einige US-Soldaten das Ende des Eroberungskrieges nicht mehr erleben ließ. Der Zustand der Besatzung, die Ausübung der Staatsmacht in Bagdad durch die USA, wird praktisch auf die Kriegszeit rückdatiert und das selbstverständliche Recht eines angegriffenen Staates auf Verteidigung zur illegalen, kriegsverbrecherischen Handlung erklärt. Das schlimmste aber:
Die Welt hat der Verbrecherlogik der USA nichts entgegenzusetzen.

Streikbrecher des Tages

junge Welt - 4. Juli 2003 - Volkmar Dittrich, PDS-Oberbürgermeister im sächsischen Werdau

An erster Stelle stehe für ihn: »Werdau muß wieder attraktiver für Investoren werden«, schreibt der PDS-Oberbürgermeister der 26000-Einwohner-Stadt in Westsachsen auf der Internetseite seiner Kommune. Das Hoffen auf die Investoren ist in Ostdeutschland eine Art Halluzinationswettbewerb von Politikdarstellern, seitdem Helmut Kohl Hartwährung und Mieterhöhungen herüberreichte. Seither gibt es auch in Westsachsen massenhaft Spaßbäder und menschenleere Gebiete, keine Arbeitsplätze, Jagd auf rote Socken und als Gewerbegebiet ausgewiesene beleuchtete Feldwege. Dennoch kamen keine Investoren. Kürzlich hat der IG-Metall-Streik der Region den Rest gegeben: »Herzinfarkt«, diagnostizierten fünf sächsische Stadtoberhäupter, darunter Dittrich, in einem Brief, den sie am 20.Juni an die Gewerkschafter richteten. Am Donnerstag fand er sich noch immer auf der Website von Gesamtmetall, dem Zusammenschluß der Metallindustrie. Darin heißt es: »Sie ›verstreiken‹die Wettbewerbsvorteile der Industrie-Standorte im Osten...«, womit nur der neueste Arbeitslosigkeitsrekord gemeint sein kann. Die Herren aus den Amtsstuben nehmen den Streik persönlich: »Wir arbeiten jeden Tag mit ganzer Kraft, um das Schiff ›Region Westsachsen‹ auf Kurs zu halten.« Die Metaller sollten nicht mehr fordern, als »Ihre und unsere Leistungen hergeben«. Das ist richtig. Wer so viel verlangt, wie Arbeiterführer à la Dittrich leisten, der kommt nicht über die Runden, eher schon mit dem Gehalt, das die Herrschaften für wenig Leistung einstreichen. Die raten den Arbeitern: »Lassen Sie die Zeit für sich arbeiten«. Das machen sie selbst nämlich seit 13 Jahren.

Friendly Fire

junge Welt - 7. April 2003 - Dr. Peace (15)

Friendly Fire droht nicht nur befreundeten Hubschraubern. Hier ein Funkgespräch vom Oktober 1995 zwischen einem US-Marinefahrzeug und kanadischen Behörden vor der Küste Neufundlands:
Amerikaner: Bitte ändern Sie Ihren Kurs um 15 Grad Norden, um eine Kollision zu vermeiden.
Kanadier: Ich empfehle, Sie ändern IHREN Kurs 15 Grad noch Süden, um eine Kollision zu vermeiden.
Amerikaner: Dies ist der Kapitän eines Schiffs der US-Marine. Ich sage noch einmal: Ändern SIE IHREN Kurs.
Kanadier: Nein. Ich sage noch einmal: SIE ändern IHREN Kurs.
Amerikaner: Dies ist der Flugzeugträger »US Lincoln«. Das zweitgrößte Schiff in der Atlantikflotte der Vereinigten Staaten. Wir werden von drei Zerstörern, drei Kreuzern und mehreren Hilfsschiffen begleitet. Ich verlange, daß Sie Ihren Kurs 15 Grad nach Norden, das ist eins-fünf Grad nach Norden, ändern. Oder es werden Gegenmaßnahmen ergriffen, um die Sicherheit dieses Schiffes zu gewährleisten.
Kanadier: Wir sind ein Leuchtturm. Sie sind dran....

Shame on you, Mr. Bush...

25. März 2003 - Michael Moores|Link -->| Statement auf der 75. Oskarverleihung

Michael Moore erhielt für seinen Film "Bowling for Columbine" 2003 den "Oscar" in der Rubrik Dokumentarfilm. Er nutzte die Gelegenheit für ein eindeutiges Statement:
"Ich habe die anderen für die Dokumentarfilm-Rubrik Nominierten hier mit mir auf die Bühne gebeten. Sie sind hier mit mir solidarisch, weil wir Non-Fiction mögen. Wir mögen Non-Fiction und leben in Zeiten der Fiktivität. Wir leben in einer Zeit fiktiver Wahlergebnisse, die Zeit eines Mannes, der uns aus fiktiven Gründen in den Krieg schickt. Wir sind gegen diesen Krieg, Mr. Bush. Schande über Sie, Mr. Bush. Schande über Sie."

Michael Moore arbeitet derzeit an einem Film über die engen persönlichen und wirtschaftlichen Beziehungen der Familien Bush aus Texas und Bin Laden aus Saudi-Arabien. Good luck Mr. Moore. Good luck.

God fuck America

junge Welt - 21. März 2003 - Ab 3.35 Uhr morgens wird »zurückgeschossen«

von Werner Pirker

Als das Land an Euphrat und Tigris in den Morgenstunden des 20. März 2003 erwachte, umarmte es der Tod. In Washington war es später Abend, als ein illegal zur Macht gelangter Präsident den Befehl zu einem illegalen Krieg erteilte. In seiner Kriegserklärung schlug der Mann, von dem es heißt, daß er auf wundersame Weise vom Trunkenbold zum Jesusjünger geworden sei, einen Ton an, als würde er den Menschen auf Erden ewigen Frieden verheißen. »Der Friede einer Welt in Nöten und die Hoffnungen eines unterdrückten Volkes hängen jetzt von euch ab«, gestaltete er den Marschbefehl an seine Mannen zu einer Botschaft der Barmherzigkeit. »In diesem Konflikt hat es Amerika mit einem Feind zu tun, der den Kriegskonventionen oder den Regeln der Moral keine Beachtung schenkt«, sagte Bush Sohn. Bush Vater hat es zu verantworten, daß im ersten Golfkrieg Tausende irakische Soldaten unter Einsatz von Planierraupen lebendig begraben wurden. Nun ist der zweite Akt der Durchsetzung moralischer Regeln angesagt. »Das Volk der Vereinigten Staaten und unsere Freunde und Verbündeten werden nicht der Gnade eines Outlaw-Regimes ausgeliefert sein, das den Frieden mit Massenmord bedroht«, versicherte George Bush jr. Die Freunde und Verbündeten der USA in diesem Krieg sind eine kleine Minderheit unter den Staaten. Sie pflegen diese Freundschaft gegen den immer spürbarer werdenden Widerstand der Bevölkerungsmehrheiten. Noch nie hat ein Krieg einen so weltumspannenden Proteststurm hervorgerufen wie dieser feige Überfall auf ein Land, das bereits entwaffnet und durch das Embargo verwüstet war, bevor es die »High tech«-Hunnen zum zweiten Mal zum Exerzierfeld ihrer Vernichtungswut gemacht haben. Danach soll es für alle Zeiten der Gnade eines Outlaw-Regimes ausgeliefert werden. Die Bush-Administration ist ein gesetzloses Regime, das seine Legitimität von Beginn an nur aus sich selbst bezog und das die Welt auch auf eine Weise spüren läßt, wie es noch keine US-amerikanische Regierung tat. Sie hat die amerikanische Jurisdiktion über den ganzen Planeten verhängt und damit nicht nur das Völkerrecht, sondern auch die amerikanische Verfassung, die in keinem Punkt zu einer solchen Außenpolitik ermächtigt, außer Kraft gesetzt. Es wäre freilich naiv, anzunehmen, erst diese US-Regierung hätte die auf dem modernen Völkerrecht begründete Weltordnung aufgehoben. Die illegale neue Weltordnung entstand im Ergebnis des Untergangs der UdSSR, in deren Folge sich die ureigensten Gesetze des Imperialismus wieder ungebrochen durchsetzen konnten. Und die beruhen ausschließlich auf Gewalt. Es ist auch nicht das erste Mal, daß gegen einen unabhängigen Staat ohne Ermächtigung durch die UNO Krieg geführt wird. Die heute am bittersten den amerikanischen Völkerrechtsbruch beklagen, wie Ex-NATO-Generalsekretär Solana, der ehemalige britische Außenminister Cook oder der noch amtierende Außenminister in Berlin haben es Bush in Jugoslawien vorgemacht, wie sich das Fehlen eines UN-Mandats ungestraft ignorieren läßt. Neu allerdings ist, daß die USA auch gegen den Willen ihrer engsten Verbündeten in den Krieg ziehen. Die NATO – von den Friedensfreunden als überflüssig betrachtet, weil sie meinten, daß nach dem Ende des Kalten Krieges der Antagonismus, der die Blockkonfrontation prägte, aus der Welt und der ewige Völkerfrühling angebrochen sei – ist nun von Washington für überflüssig erklärt worden. Aber nicht wegen des Völkerfriedens, sondern wegen des von den USA entfesselten »unendlichen Krieges«. Und der duldet kein Konsensprinzip, wie es innerhalb der imperialistischen Allianz herrscht. Der NATO folgen ad hoc hergestellte »Koalitionen der Willigen«, in denen, wie es schon der Name sagt, die Unterordnung unter den Willen der Supermacht Konsens zu sein hat. Die von den Bushisten düpierten Juniorpartner haben das Dilemma, in dem sie sich nun befinden, selbst geschaffen. Wider besseren Wissens haben sie das Entwaffnungstheater mitgespielt, das Schauermärchen von der tödlichen Bedrohung aus Bagdad nacherzählt und damit dem Lügenbaron in Washington Glaubwürdigkeit verliehen. Sie haben sich an der mörderischen Sanktionspolitik gegen den Irak beteiligt. Deshalb konnten sie den Krieg, den sie nicht wollten, auch nicht verhindern. Schröders Nein zum Krieg zählt wenig, wenn ihm ein Ja zur Mithilfe am Aufbau der irakischen Nachkriegsordnung folgt. Genau das ist bereits geschehen. Deutschland wolle sich daran beteiligen, Irak wieder zu einem »angesehenen und prosperierenden Mitglied der Völkerfamilie zu machen«, heißt es aus dem Kanzleramt. Das dürfte wohl auch der Konsens im Sicherheitsrat sein. Mit dem Einmarsch der Zivilgesellschaft soll der Einmarsch der Aggressionstruppen ein versöhnliches und nachträglich legitimiertes Ende finden. Wie in Jugoslawien, wo die UNO das Werk der NATO vollendete. Mehr als die Übernahme der Wiederaufbaukosten will Washington von seinen Verbündeten ohnedies nicht.

Achse der Blödheit

junge Welt - 21. Januar 2003 - Neueste Daten der OECD

Nun ist es auch nach Berlin durchgedrungen, was die OECD schon seit Jahren sagt: Die BRD ist ein Niedrigsteuerland. Wenn das eine Organisation feststellt, deren wirtschaftspolitisches Credo aus der Dreifaltigkeit »niedrige Löhne, niedrige Steuern, hohe Gewinne« besteht, gibt es keinen Grund, an dem Wahrheitsgehalt zu zweifeln. Mit 21,7 Prozent hatte danach die BRD 2001 nicht nur die niedrigste Steuerquote in Europa, sondern rangierte auch im weltweiten Vergleich der Industrienationen auf Platz zwei hinter Japan. Daß Sparkommissar Eichel diese Zahlen voller Stolz verkündete, ist nicht weiter interessant, wohl aber welche Schlüsse er daraus zieht. Da er keinen blassen Schimmer von Ökonomie hat, wäre denkbar, daß er glaubt, die seit mehr als einem Jahrzehnt andauernde Deflation in Japan sei ein Ergebnis der niedrigen Steuerquote, und beschließt sie zu erhöhen. Aber dergleichen war bisher nicht zu hören - und das ist auch gut so. Doch geschwiegen hat Eichel nicht. Die zentrale Aufgabe müsse in der Reform der sozialen Sicherungssysteme bestehen. Nun ist zwar auch die Steuer- und Abgabenquote insgesamt z.B. in Großbritannien und Frankreich höher, aber da Eichel das finanzpolitische Einmaleins auf den Cocktailempfängen von BDA und BDI gelernt hat, läßt er sich selbst durch OECD-Zahlen nicht beirren. Das macht deutlich, daß nicht die »Achse des Bösen« von Bush die größte gegenwärtige Gefahr darstellt sondern die »Achse der Blödheit« in die sich das Kapital getrost einreihen kann. Und letztere existiert wirklich, denn mit ihrer prozyklischen Politik prügeln Clement Eichel und Schröder nicht nur die werktätige Bevölkerung, sondern auch die Profitraten langfristig nach unten.

Der Eckenbrüller

junge Welt - 10. Januar 2003

von Edgar Külow

Dieser WoIfgang Thierse, ehemals ein DDR-Nichts wie Krause und Lengsfeld und Co. Dieser Thierse hat es geschafft. Er ist einer der allerhöchsten Funktionäre der Deutschen. Das will bei der SPD noch nicht allzuviel besagen, wenn man an die Karriere solcher Granaten wie Rau und Scharping denkt. Unser aller Wolfgang meinte nun zum neuen Jahr, es wäre an der Zeit, das ständige Jammern zu unterlassen und positiv diese herrliche Entwicklung zu begleiten. Also, der Mann macht es sich leicht. Ganz offensichtlich war er noch nicht auf dem Platz, wo die eigene Truppe fünfe, sechse frisst. Da bleibt dir aber das "Halleluja" in den Tiefen deines seelischen Abgrundes stecken, und du möchtest nach Samoa zu Rudi Gutendorf auswandern.

Genug des Leides, Freude muß aufkommen. Was tun? Ein Schritt vorwärts - zwei zurück. Einmal in die Dynamo-Halle zum Turnier der Oldies von Wismut Aue bis Werder Bremen, von Zwickau mit Irmscher bis Hertha mit Terletzki. Doch, es hat Spaß gemacht. Was der lange Rudwaleit im Dynamo-Tor wegfischte, war internationale Klasse. Es gibt ja jetzt keine Siegprämie mehr in der Halle, sondern Pokale und Klamotten. Der DSF-Schlabberling meinte, das fehlende Geld täte den Spielen gut. Mehr Einsatz, mehr Fairness, mehr Spaß. Das paßt gut in Thierses Konzept: je weniger Geld im Spiel ist, desto fröhlicher ist das Leben! Na, so ein Schwachsinn!

Dieter Hoeneß ist 50 geworden. Er wird darob in der Fußball-Woche geehrt. Das geht in Ordnung. Gewagt ist, ihn zum Perfektionisten zu machen. Gut, die Hertha hat in den letzten Jahren eingekauft, was gut und teuer war; aber der große Coup ist nicht gelungen, ganz vorn mitzuspielen. Jedes Jahr große Versprechungen, jedes Jahr neue Enttäuschungen. Wassilew (entlassener Trainer vom 1. FC Union) erhielt 58 000 Euro Abfindung. Da kann er wieder einige Wochen überleben.

Schwarzer Tag für Thüringen

junge Welt - 11. Januar 2003 - Datenschutzbeauftragte veröffentliche Angaben aus der Verfassungsschutzakte Bodo Ramelows

von Stefan Wogawa

Bodo Ramelow, Fraktionsvorsitzender der PDS im Thüringer Landtag, ist empört. »Dies ist ein schwarzer Tag für den Datenschutz«, ließ der PDS-Politiker am Freitag per Pressemitteilung verbreiten. Nicht genug, daß das Thüringer Landesamt für Verfassungsschutz über seine Person eine Akte wegen angeblicher Kontakte zur DKP in den 80er Jahren angelegt und ihn jahrelang bespitzelt hat. Am Freitag brachte es die Thüringer Datenschutzbeauftragte Silvia Liebaug sogar fertig, Angaben aus der Akte per Presseerklärung zu veröffentlichen – ohne zuvor auf Anfragen des PDS-Abgeordneten Antwort gegeben zu haben. Frau Liebaug habe dem Datenschutz einen »Bärendienst« erwiesen, »grob fahrlässig« und »offenkundig parteipolitisch motiviert« gehandelt, so Ramelow. »Das ist die Fortführung des Kalten Krieges«, zürnte Ramelow gegenüber jW. Inzwischen wurde offenbar, daß der Thüringer Verfassungsschutz neben PDS-Landtagsabgeordneten auch Gewerkschafter überwacht. Dem DGB-Landesvorsitzenden Frank Spieth wurde mitgeteilt, sein Name tauche in »Sachakten« des Amtes auf. Daneben sind Daten einer Mitarbeiterin des DGB-Bildungswerkes gesammelt worden. Inzwischen haben selbst Politiker aus den Reihen von SPD und Grünen beim Verfassungsschutz Auskunft erbeten, ob auch über sie Akten geführt werden. Einzig die CDU verteidigt das Vorgehen des Verfassungsschutzes. Allen voran der CDU-Landes- und Fraktionsvorsitzende Dieter Althaus ist eifrig bemüht, die Kritik an der Schnüffelpraxis als »Affäre ohne Substanz« herunterzuspielen. Die Bespitzelung von Oppositionsabgeordneten sei »regelgerecht« erfolgt. Schließlich sei es Aufgabe des Verfassungsschutzes, Bestrebungen zu beobachten, die sich gegen die freiheitlich-demokratische Grundordnung richteten. Daß die PDS dabei nicht außen vor stehe, sei doch nicht neu.

Da habe sich »wohl jemand vom Blockfreund zum Blockwart gewendet«, kommentierte Bodo Ramelow derlei Bekenntnisse. Immerhin wurde Ost-CDU-Aktivist Althaus noch im Sommer 1989 als stellvertretender Schuldirektor mit der »Medaille für hervorragende Leistungen bei der kommunistischen Erziehung in der Pionierorganisation Ernst Thälmann in Gold« ausgezeichnet. Nach dem Anschluß an die BRD glänzte Althaus dann jedoch urplötzlich als veritabler »Wendehals«. Als Thüringer Kultusminister entließ er zahlreiche Lehrer wegen vermeintlicher »Systemnähe« in der DDR und unterlag mit dieser Praxis gleich reihenweise vor Gerichten. Ob wegen Althaus’ einstiger Systemnähe eine Akte angelegt wurde, ist nicht bekannt.

Gleiches gilt für den Dienstvorgesetzten der Thüringer Schlapphüte, Innenminister Andreas Trautvetter (CDU). Der Diplommathematiker hatte es in der DDR immerhin zum Oberleutnant der Reserve gebracht. Und das, obwohl doch eigentlich »Personen mit Offiziersrang der ehemaligen bewaffneten Organe der DDR mit Aufgaben des Verfassungsschutzes grundsätzlich nicht befaßt werden (dürfen)«. So steht es jedenfalls im Thüringer Verfassungsschutzgesetz geschrieben – ein Gesetzeswerk, das eigentlich sicherstellen soll, daß der Geheimdienst rechtlich oder gar demokratisch zu kontrollieren sei.

Begnadigung wegen Polizeifolter

SPIEGEL ONLINE - 10. Januar 2003 - George Ryan hat drei Tage vor seinem Ausscheiden aus dem Amt als Gouverneur des US-Staates Illinois vier zum Tode verurteilte Gefangene begnadigt. Die Häftlinge hatten erklärt, die Polizei von Chicago habe ihre Geständnisse mit Folter erpresst.

Chicago - Ryan erklärte in einem vorab verbreiteten Redetext, er begnadige die vier Häftlinge, weil sie fälschlicherweise vor Gericht gestellt und zum Tode verurteilt worden seien. "Ich habe diese Fälle überprüft und ich glaube, dass hier Unrecht geschehen ist und die Verurteilten unschuldig sind", sagte Ryan. Die Begnadigten sollten noch am Freitag frei gelassen werden. Ryan hat schon im Jahr 2000 für Aufsehen gesorgt, als er ein Moratorium über Exekutionen in Illinois verhängt hatte, nachdem sich herausgestellt hatte, das 13 Angeklagte zu Unrecht verurteilt worden waren. In den vergangenen Monaten prüfte er außerdem Gnadengesuche von mehr als 140 zum Tode verurteilten Häftlinge. In jüngster Zeit häuften sich in den Vereinigten Staaten die Fälle, in denen mit Hilfe von DNS-Analysen Justizirrtümer aufgedeckt wurden. Insgesamt wurden 90 Todesurteile im Jahr 2002 aufgehoben oder in Haftstrafen umgewandelt. Die 40 inzwischen freigekommenen zum Tode Verurteilten aus den gesamten USA forderten den Gouverneur von Illinois auf, alle Todeskandidaten zu lebenslanger Haft zu begnadigen. Zusätzlich haben offenbar die Hinweise früherer Insassen von Todeszellen einen Einfluss auf Ryan ausgeübt. Sie hatten im Dezember auf einer Veranstaltung in Illinois auf Missstände bei der Verhängung der Todesstrafe hingewiesen.

"Er kann nicht reden. Er kann nicht lesen ...

Larry Hagman (J.R. Ewing aus "Dallas") in der "Süddeutschen Zeitung" über den US-Präsidenten

"Während der Idiot Reagan gefährlich, aber nicht eigentlich dumm war, sieht die Sache bei George W. Bush schon anders aus: Das Land wird von einem Menschen regiert, der gefährlich und dumm ist. Bush fällt komplett aus dem Rahmen dessen heraus, was Sie und ich unter einem sozialisierten Menschen verstehen. Er kann nicht reden. Er kann nicht lesen. Er ist Legastheniker. Und jetzt kommt das Beste: Er ist unser Präsident.
Die ganz Sippe von George W. Bush treibt sich sowieso eher in Maine herum als in Texas. Er inszeniert dieses Texas-Ding, weil die Leute es urig finden. Bullshit!"

Ex-Uno-Koordinator Sponeck: "Der Uno-Sicherheitsrat bricht das Völkerrecht"

SPIEGEL ONLINE - 24. Dezember 2002 - Der frühere Leiter des Uno-Programm "Öl für Lebensmittel" im Irak, Hans von Sponeck, wirft der US-Regierung vor, sie streue Desinformationen über den Irak und nehme den Tod von vielen tausend Unschuldigen in Kauf. Im SPIEGEL-ONLINE-Interview fordert der deutsche Diplomat Wirtschaftsfreiheit für den Irak - einschließlich strengster Rüstungskontrollen.

Zur Person: Hans Graf von Sponeck, 63, stand über dreißig Jahre in den Diensten der Uno und leitete ab 1998 knapp zwei Jahre lang das Programm "Öl für Lebensmittel" im Irak. Weil er die Aushungerung und Verelendung der Zivilbevölkerung nicht länger mittragen wollte, trat der deutsche Karriere-Diplomat wie schon sein Vorhänger, der Ire Dani Haliday, im Februar 2000 von seinem Posten zurück.

Das Gespräch führte Harald Schumann

SPIEGEL ONLINE: Herr von Sponeck, Sie haben bis zum Jahr 2000 das Uno-Programm Öl für Nahrung im Irak geleitet und waren seitdem häufig dort, kennen also die Lage vor Ort. Wird die irakische Armee nach einem US-Angriff rebellieren und Saddam Hussein stürzen, wie die Amerikaner hoffen?

Sponeck: Ich bin kein Prophet. Aber die Loyalität der Offiziere gegenüber dem Regime ist gewiss viel größer, als man in Washington annimmt. Vermutlich wird Saddams Generälen erst dann der Mut der Angst zuwachsen, wenn ohnehin große Teile des Landes erobert sind. Dann werden sich viele zu retten versuchen. Nach dem zweiten Weltkrieg gab es ja auch bei uns plötzlich fast keine Nazis mehr.

SPIEGEL ONLINE: Werden die Iraker es einfach so hinnehmen, wenn ihre Ölindustrie nach der Eroberung durch die Amerikaner privatisiert wird, wie es in Washington offenbar in Planung ist?

Sponeck: Ganz bestimmt nicht. Mit wem immer sie in Bagdad sprechen, auch wenn es keine Hussein-Gefolgsleute sind, in einem sind sie sich einig: Sie wollen selbst über ihre Zukunft bestimmen. Die Vorstellung, dass die von den USA geförderte Opposition im Irak die Macht übernimmt, ist illusionär.

SPIEGEL ONLINE: Wenn sie von einer US-Besatzung getragen wird, können das die Iraker wohl kaum verhindern.

Sponeck: Vielleicht für kurze Zeit. Aber es wird ja wohl keine langfristige US-Militärregierung geben. Dafür ist der Druck, nach so langen Jahren der Diktatur endlich ein Mehrparteiensystem einzuführen, viel zu groß. Die verschiedenen ethnischen und religiösen Gruppen werden eine neue Verfassung fordern, vor allem die Kurden werden ein föderales System haben wollen. Die Amerikaner können das nur kurzfristig kontrollieren.

SPIEGEL ONLINE: Wird der Irak auseinanderbrechen, wie viele Beobachter erwarten?

Sponeck: Das glaube ich nicht. Dann wäre das schon im Krieg gegen den Iran in den achtziger Jahren geschehen. Damals hielten aber sowohl die Araber im Iran als auch die Schiiten im Irak ihren jeweiligen Nationen die Treue. Auch die Kurdenführer versichern, sie seien zuerst Iraker und dann erst Kurden. SPIEGEL ONLINE: Aber nach dem Golfkrieg gab es einen schiitischen Aufstand im Süden des Landes, der blutig niedergeschlagen wurde. Sponeck: Das stimmt, aber ein Aufstand im Land bedeutet nicht dessen Aufteilung. Die Iraker wissen sehr wohl, dass die Einheit ihr bester Schutz ist.

SPIEGEL ONLINE: Große Teile der Weltöffentlichkeit halten einen Sturz des Regimes von Saddam Hussein für nötig und legitim, Sie dagegen warnen vor einem von außen erzwungenen gewaltsamen Umsturz, warum?

Sponeck: Zuerst und hauptsächlich, weil ein solcher Krieg so furchtbar viele menschliche Opfer fordern würde, dass dies auch durch einen Regime-Wechsel nicht zu rechtfertigen ist.

SPIEGEL ONLINE: Aber die Amerikaner rechnen mit einem Sieg binnen vier Wochen.

Sponeck: Auch in vier Wochen können viele Menschen sterben. Wir haben es doch in Afghanistan gesehen. Der Krieg wird mit einem Flächenbombardement vor allem in den urbanen Zentren beginnen und dann erst wird der Bodenkrieg folgen. Das wird unendlich viele Opfer fordern.

SPIEGEL ONLINE: Sie nannten sogar die Uno-Sanktionen gegen den Irak eine "Völkermord-Aktion". Ist das nicht maßlos übertrieben?

Sponeck: Ich habe mich selbst lange gegen eine solche Charakterisierung gewehrt. Aber inzwischen sagen fast alle Hilfsorganisationen, gleich ob "Care", "Unicef", oder "Caritas", dass die Sanktionen, also die Verweigerung von ausreichender Versorgung, tausende von Opfern fordern. Der Sicherheitsrat weiß das genau. Wenn er diese Politik trotzdem weiterverfolgt, dann muss er sich vorwerfen lassen, dass er das Völkerrecht bricht. Selbst die Uno-Menschenrechtskommission hat das im Juni 2000 festgestellt.

SPIEGEL ONLINE: Wurde das nicht längst verbessert?

Sponeck: Die medizinische Versorgung, vor allem in den ländlichen Gebieten ist immer noch katastrophal. Und wenn man dann trotzdem Medikamente zurückhält, angeblich weil sie der chemischen Kriegsführung dienen können, dann macht man sich schuldig.

SPIEGEL ONLINE: Welche Medikamentenlieferungen werden aufgehalten?

Sponeck: Atropin zum Beispiel. Damit kann man Opfern von Giftgas-Angriffen helfen, aber eben vor allem auch Menschen mit Kreislaufschwäche und Herzkrankheiten. Noch wichtiger sind die Chemikalien, die für die Wasserreinhaltung gebraucht werden. Im Juli diesen Jahres wurden humanitäre Lieferungen im Wert von über fünf Milliarden Dollar blockiert, das ist ein Bruch des Völkerrechts. Und das obwohl es über 300 Uno-Beobachter gibt, die keine andere Aufgabe haben als die korrekte Verteilung zu überwachen.

SPIEGEL ONLINE: Wenn die Verteilung so korrekt erfolgt, wie kann es dann sein, dass Saddam und seine Günstlinge in Luxus schwelgen und sich noch immer Paläste bauen?

Sponeck: Natürlich gibt es diese mafiöse Clique von Wirtschaftsfürsten, die wahrscheinlich jeden Tag beten, dass die Sanktionen noch möglichst lange aufrecht erhalten werden. Denn nur mit deren Bruch und dem Schmuggel können sie das große Geld machen.

SPIEGEL ONLINE: Aber woher kommt das Geld, mit dem die Waren bezahlt werden?

Sponeck: Vermutlich aus dem illegalen Öl-Handel. Jedenfalls bestimmt nicht aus dem Öl-für-Nahrungsmittel-Programm. Da wird die Weltöffentlichkeit systematisch desinformiert.

SPIEGEL ONLINE: Können Sie das belegen?

Sponeck: Auch mein Nachfolger, der bestellt wurde, um weitere Kritik zu vermeiden, hat festgestellt, dass bei keinem Uno-Hilfsprogramm das Verteilungssystem besser kontrolliert sei als im Irak. Wenn die Amerikaner darauf verweisen, dass es den Menschen im kurdischen Norden besser gehe, als der Bevölkerung in den Gebieten, die das Regime kontrolliert, gibt es dafür eine einfache Erklärung: Der Sicherheitsrat hat dem Norden eine weit höhere Pro-Kopf-Zuweisung zugestanden, 20 Prozent der legalen Öl-Einnahmen fließen da nur 13 Prozent der Bevölkerung zu. Zudem wird im Norden toleriert, dass die Sanktionen fortlaufend gebrochen werden, dort kann die normale Wirtschaft funktionieren. Aber das ist nur eines der vielen Beispiele amerikanischer Falschinformationen über den Irak.

SPIEGEL ONLINE: Warum, was denn noch?

Sponeck: Etwa die Behauptung von US-Regierungsbeamten im Juli dieses Jahres im Senatsausschuss für auswärtige Angelegenheiten, dass al-Qaida-Mitglieder sich frei im Irak rumtreiben könnten. Das ist durch nichts belegt. Bekannt ist nur, dass eine kleine al-Qaida-Gruppe sich in den kurdischen Norden geflüchtet hat, das ist aber kein Beweis für einen institutionellen Kontakt mit der Regierung. Da wird nur ein Feindbild aufgebaut. Anfänglich hieß es ja sogar, die Anthrax-Brief-Anschläge seien vom Irak gesteuert, inzwischen wissen wir, dass diese Sporen aus US-Armee-Beständen stammten.

SPIEGEL ONLINE: Aber wenn Sie sowohl Sanktionen als auch einen Krieg ablehnen, was ist denn die Alternative? Sollen wir Saddam Hussein einfach gewähren lassen? Immerhin hat er schon zwei mal seine Nachbarn überfallen.

Sponeck: Unbestreitbar ist jedenfalls, dass die Sanktionen zwölf Jahre lang die Falschen getroffen und viele unschuldige Opfer gefordert haben. So wird die Bevölkerung von beiden Seiten als Geisel gehalten. Stattdessen könnte man ein Abkommen treffen, mit dem die Wirtschaftssanktionen aufgehoben, gleichzeitig aber massive Kontrollen der Armee und der Rüstungsindustrie bestehen bleiben. Das Ende der Sanktionen und die Wiederbelebung der Wirtschaft wären doch der größte Feind von Saddam Hussein. Wenn die Menschen merken, dass sie nicht mehr vom Diktator abhängig sind, könnte endlich von innen heraus eine Opposition erwachsen.

SPIEGEL ONLINE: Na ja, genau so gut könnte das Regime wieder einen Krieg beginnen und damit die interne Opposition niederhalten, das war schließlich schon immer das Konzept.

Sponeck: Ich bin der festen Überzeugung, dass man das durch einen Vertrag, der Wirtschaftsfreiheit gibt, aber harte Kontrollen vorsieht, verhindern könnte.

Die Schlammschlacht läuft weiter

30.11.2002 - US-Medien diskreditieren gezielt Teilnehmer der UN- Inspektionen im Irak (jw)

von Rainer Rupp

Die Diskreditierung der UNO-Waffeninspektionen im Irak geht in den USA unvermindert weiter. Inzwischen schrecken selbst seriöse bürgerliche Zeitungen, wie die Washington Post, nicht einmal mehr vor persönlichen Angriffen auf einzelne UN- Inspektoren zurück, um so die ganze UNO-Operation vor der amerikanischen Öffentlichkeit in den Schmutz zu ziehen. Dabei handelt es sich offensichtlich um eine koordinierte Kampagne zur Delegitimierung der UNO-Inspektionen, falls diese nicht liefern, was Washington von ihnen erwartet – nämlich einen Vorwand für den Krieg. Um zu verhindern, daß die US-Regierung die Inspektionen im Irak erneut zu Spionagezwecken mißbraucht, haben die Vereinten Nationen diesmal darauf bestanden, keine von den Regierungen bestimmten »Experten« als Waffeninspekteure anzuheuern, sondern sich ihre Leute selbst auszusuchen. Am Mittwoch veröffentlichte nun die Washington Post eine bizarre Geschichte über die UN-Inspektoren, die sogar mit Details über die sexuellen Eigenarten des von der UNO ausgesuchten neuen Inspektors Harvey »Jack« McGregor angereichert war. Dieser ist US-Staatsbürger, ehemaliger Marinesoldat und Chef seines eigenen Sicherheitsberatungsunternehmens, das Seminare über chemische und biologische Waffen veranstaltet und Produkte gegen Bioterrorismus verkauft. Er habe aber – so der Vorwurf der Washington Post – keinen akademischen Grad. Der nächste Vorwurf wiegt jedoch im puritanischen Amerika weitaus schlimmer: So sei der aus Virginia stammende 53jährige McGregor nicht nur Mitbegründer einer Sadomasogruppe, Mitglied der »Konferenz für Leder und Führungskader« (welche »Trainingsstunden für derzeitige und potentielle Anführer der sadomasochistischen Leder-Fetisch- Gemeinschaft« gibt), sondern auch der ehemalige Vorsitzende der »Nationalen Koalition für sexuelle Freiheit«. »Ich bin immer sehr offen darüber gewesen, was ich tue. Und das hat mich nie daran gehindert, einen Job zu bekommen«, erklärte McGregor gegenüber einer britischen Zeitung. »Ich bin, wer ich bin. Und ich schäme mich nicht, für das, was ich bin«, sagte er. Ein UNO-Sprecher gab McGregor inzwischen Unterstützung. Dessen Privatleben habe nichts mit seiner Qualifikation als Inspektor zu tun. Dennoch hat McGregor inzwischen der UNO seinen Rücktritt angeboten. Die UNO- Mission sei sehr wichtig, und sie dürfe nicht durch ein Gezänk um seine Person beschädigt werden.

Lob von der Weltbank für Kuba

15.11.2002 - Gesundheits- und Bildungspolitik beispielgebend für Entwicklungsländer (jw)

Weltbank-Präsident James Wolfensohn hat Kuba großes Lob für dessen Gesundheits- und Bildungspolitik erteilt. Nach den von der Bank jetzt veröffentlichten World Development Indicators (WDI) schneidet der sozialistische Karibikstaat in beiden Bereichen weit besser ab als jedes andere Entwicklungsland. Zum Ende des fünftägigen Frühjahrstreffens von Weltbank und Internationalem Währungsfonds (IWF) erklärte Wolfensohn vor Journalisten am Montag in Washington, Kuba leiste gute Arbeit. Die neuen WDI-Daten zeigten, daß es der kubanischen Regierung unter Fidel Castro gelungen sei, das Gesundheits- und Bildungssystem trotz des laufenden US-Handlesembargos und der vor über zehn Jahren eingestellten Hilfe aus Moskau noch weiter zu verbessern. Kuba investiert seit den 90er Jahren etwa neun Prozent seines Bruttoinlandsprodukts (BIP) in den Bereich Gesundheit. Mit statistisch gesehen 5,3 Ärzten je 1 000 Einwohnern hat der Staat die höchste Ärzterate der Welt. Auch liegt die Säuglingssterblichkeit bei sechs je 1000 Lebendgeburten - eine Rate, wie sie sonst nur Industriestaaten aufweisen können. Kuba liegt damit weit unter dem lateinamerikanischen Durchschnitt. Der Bereich Bildung wird vom Staat mit 6,7 Prozent des Nationaleinkommens gefördert. Daher kann auf Kuba jeder Jugendliche lesen und schreiben, denn seit 1997 geht hier – anders als in den USA – jedes Kind zur Schule. Selbst in den fortgeschrittensten lateinamerikanischen Staaten liegt die Einschulungsrate allenfalls bei 80 bis 90 Prozent. Kuba ist neben Nordkorea das einzige Entwicklungsland, das seit 1960 keinen einzigen Weltbankkredit erhalten hat, ja nicht einmal Mitglied der Bank ist. Dessen Wirtschaftspolitik ist das Gegenteil des neoliberalen Kurses, den die Bank empfiehlt.

Kaurismäki boykottiert USA

01.10.2002 - Filmregisseur Aki Kaurismäki hat aus Solidarität den Besuch des New York Film Festivals boykottiert.

New York (sj) - Grund für die Absage: Seinem iranischen Regie-Kollegen Abbas Kiarostami wurde das Visum zum Besuch des Festivals nicht ausgestellt. Eigentlich sollte dieser seinen neuen Film "Ten" vorstellen. "Unter diesen Umständen muss auch ich meine Teilnahme absagen. Wenn die gegenwärtige US- Regierung keinen Iraner will, wird sie bestimmt auch für einen Finnen keine Verwendung sehen, schließlich haben wir nicht einmal Öl", erklärte Kaurismäki in einer E-Mail.

Kaurismäki möchte außerdem seinen Teil zur Erhaltung des Weltfriedens beitragen: "Ich würde den US-Verteidigungsminister gerne nach Finnland einladen. Wir könnten im Wald spazieren gehen und Pilze sammeln. Das würde ihn vielleicht etwas beruhigen".